Erschütterung des Beweiswerts einer im Nicht-EU-Ausland erstellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Weil ein Arbeitnehmer wiederholt Krankschreibungen während des Urlaubs vorlegte, verweigert die Arbeitgeberin ihm die Entgeltfortzahlung. Zu Recht? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) meint jedenfalls, den Arbeitnehmer könne in einem solchen Fall die volle Darlegungs- und Beweislast für seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit treffen.

Attest eines tunesischen Arztes

Der Arbeitnehmer war seit 2002 als Lagermitarbeiter bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt. Im August 2022 verbrachte er seinen Urlaub in Tunesien. Kurz vor Ende seines Urlaubs teilte er seiner Arbeitgeberin per Mail mit, er sei für 24 Tage arbeits- und reiseunfähig krankgeschrieben und fügte ein Attest eines tunesischen Arztes bei. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland legte er der Arbeitgeberin eine Erstbescheinigung eines deutschen Arztes für weitere fünf Tage vor. Die Arbeitgeberin lehnte die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab und kürzte die Vergütung des Arbeitnehmers. Mit seiner Klage hat der Arbeitnehmer die gekürzte Vergütung eingefordert. 

Ernsthafte Zweifel in der Gesamtschau

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat das Urteil abgeändert und die Arbeitgeberin zur Zahlung verurteilt. Das BAG hat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.

Das LAG habe zwar zutreffend erkannt, dass einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die in einem Land außerhalb der Europäischen Union ausgestellt wurde, grundsätzlich der gleiche Beweiswert wie einer in Deutschland ausgestellten Bescheinigung zukommt. Es habe aber bei der Würdigung der von der Arbeitgeberin vorgetragenen Umstände nur jeden einzelnen Aspekt isoliert betrachtet und die rechtlich gebotene Gesamtwürdigung unterlassen.

Es war zu berücksichtigen, dass der tunesische Arzt dem Arbeitnehmer ohne einen Termin für eine  Wiedervorstellung für 24 Tage Arbeitsunfähigkeit bescheinigte. Außerdem hatte der Arbeitnehmer einen Tag nach der attestierten Notwendigkeit häuslicher Ruhe und des Reiseverbots ein Fährticket für den vorletzten Tag der Arbeitsunfähigkeit für die lange Rückreise nach Deutschland gebucht und letztlich auch angetreten. Schließlich hatte er in den Jahren 2017 bis 2020 bereits dreimal unmittelbar nach seinem Urlaub Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. Diese Gegebenheiten können für sich betrachtet unverfänglich sein. In einer Gesamtschau begründen sie aber ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Den Arbeitnehmer trifft daher die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG. Da das LAG dazu keine Feststellungen getroffen hatte, war die Sache zurückzuverweisen.

 

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15. Januar 2025 – 5 AZR 284/24 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 16. Mai 2024 – 9 Sa 538/23 –

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Januar 2025

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